Pumprisse 1. österreichische Beg.

1978 Fleischbank – Pumprisse 1. österr. Beg.
Im Juni 1978 kam an einem Dienstag Rolf Walter zu mir ins Geschäft und fragte mich ob ich morgen Zeit hätte ins Kaisergebirge zu fahren, da wäre zum Beispiel schon lange fällig, dass auch eine österreichische Seilschaft durch die von den Deutschen Reinhard Karl und Helmut Kiene eröffnete Führe am Fleischbankpfeiler klettert. Der siebte Grad war im Kaiser durch diese jetzt schwierigste Kaiserkletterei, eingeführt worden. Ganz wohl war mir bei der Sache zwar nicht, aber eine derartige Gelegenheit mit einem Spitzenmann wie Rolf eine saftige Tour machen zu können, wollte ich nicht verpassen.

Fleischbankpfeiler mit Pumprissen
Wir waren nicht mehr die Jüngsten und hatten auch noch nie mit dem modernen Zeug zu tun, das die Freikletterer für solche Zwecke heute verwenden, aber das kann man sich ja ausleihen. Beim Otti holte ich mir am Abend zwei 11er und zwei 10er Hexentricks und Rolf hatte eine Reihe Clogs, die wir zur Sicherung in dem Risssystem einsetzen mussten. Nur der Einstiegsquergang ist mit Haken versehen, die eigentliche Rissreihe hat keine fixen Sicherungspunkte, alles muss man selber legen und nur der Breite des Risses entsprechend, die Klemmkeile legen und mit Schlingen absichern. Das in der höchsten Stufe des damals Machbaren im Klettern. Das konnte ja heiter werden . . .
Eine neue Ära bricht an
In aller Frühe fuhren wir bis in die Griesenau und gingen zum Einstieg des Fleischbankpfeilers hinauf. Die Rebitschrisse, die gerade hinaufziehen, hätten mir eigentlich besser gefallen, aber die Faszination Pumprisse, die damals in aller Munde waren und die als das „Ende der Fahnenstange“ bei der Schwierigkeit im freien Klettern gesehen wurden, war doch stärker und so nahmen wir das Unternehmen Pumprisse in Angriff.

Rolf im “Hundebahnhof”
Vom Brandlereinstieg geht ein luftiger Quergang schräg rechts hinauf zu einem Schlingenstand. Wir kletterten überschlagend mit der Führung. Bis hier her ist die Kletterei schwierig, aber mit Haken gesichert, das waren wir gewohnt. Aber nun ging’s los. Die erste Schlüsselstelle, der „Hundebahnhof“ wartete zum Glück auf Rolf. Ich weiß nicht ob ich da hinaufgekommen wäre. Am Beginn ein Schulterriss, der in einen Körperriss übergeht fordert alles an Kraft und Geschicklichkeit, was man sich nur vorstellen kann. Das Besondere dabei ist, dass man die unbedingt notwendige Absicherung selbst anbringen muss. In einer gnadenlos abdrängenden Stellung, eine Faust im Riss verklemmt, muss man versuchen genau den richtigen „Hexi“ aus dem umgehängten Sortiment herauszufummeln und an der richtigen Stelle und in der einzig richtigen Lage so anzubringen, dass man für die nächsten Meter wenigstens halbwegs gesichert ist
Rolf hatte dabei offensichtlich auch erst sein Lehrgeld zu bezahlen. Die vier Hexentricks, die wir dabei hatten, waren sehr knapp bemessen, da hätte es schon noch mehr davon vertragen. Rolf versuchte ohne lange mit dem ungewohnten Zeug herumzudoktern, möglichst hoch hinaufzukommen, doch das ging sich gerade nicht ganz aus. Ein Ausrutscher am linken Fuß und schon ging’s durch die Luft bis zum Quergangsende herunter. Grausames Rasseln und dann der Ruck im Seil beendete abrupt den Sturz. Wir hatten nur ein Seil und so wäre es problematisch geworden, wenn ich ihm zu Hilfe kommen hätte müssen. Aber Rolf hatte sich bald wieder gefangen und wollte gleich ein zweites Mal die höllische Länge probieren. Diesmal klemmte er doch zwei Hexentricks in den Riss und mit dem letzten Schmalz in den Armen und Fingern, gelang es ihm diesen „Hundebahnhof“ unter sich zu bringen.

Rolf kommt nach zum Stand
Beim Nachklettern musste ich nun trachten, die Hexi wieder herauszubekommen. Gar nicht so leicht, wenn man selbst am liebsten in die Schlinge steigen möchte, diese aber mit dem Sicherungspunkt mitgenommen werden muss. Also das mit dem siebten Grad war noch nicht so ganz ausgekocht damals, aber dass wir hier an unserer Leistungsgrenze klettern mussten, war eindeutig. Dass man sogar diese Schwierigkeiten noch steigern könnte war für uns unvorstellbar. Die neue Zeit mit anderen Dimensionen war mit diesem Anstieg jedenfalls auch bei uns angebrochen, das war klar.
Die nächste Länge traf es mich voraus, dabei legte ich erstmals einen 8er Hexi und zwei Clog, den Rest konnte ich ohne weitere Sicherungen klettern. Ein komisches Gefühl ist das schon mit diesen Geräten. Um wieviel besser fühlt sich da ein satter Bong oder auch ein guter Holzkeil an, wenn er fix eingeschlagen ist. Am Stand unter einem Dach bemerkte ich hinter dem nachsteigenden Rolf noch eine Seilschaft.
Ein TV Film wird heute gedreht

Norbert Sandner
Die Nürnberger Nobert Santner mit seinem Freund Werner kletterten hinter uns die Pumprisse hoch. Die beiden waren für eine Filmproduktion unterwegs, die das Erlebnis Pumprisse auf 16mm Film festhalten wollte. Ich war konzentriert beim Nachsichern von Rolf, da hörte ich neben mir in der glatten, senkrechten Wand ein Geräusch. Da kam doch tatsächlich der Kameramann Gerhard Bauer mit Steigbügeln an einem Seil frei schwebend herab und richtete sich ein für die seitlichen Aufnahmen der Pumprisskletterer. Auch ein Tontechniker kam noch herunter und bereitete sich für die Tonaufnahmen vor. Dies muss sicher gut gelungen sein, weil ich den Norbert ganz schön schnaufen gehört habe, wie er sich über den Hundebahnhof heraufgeschunden hat.

Toningenieur und Kameramann Gerhard Bauer am Fixseil
Wir mussten uns aber jetzt noch auf die obere Stelle im siebten Grad konzentrieren, die wiederum Rolf in Angriff nahm. Ein weit überhängender Schulterriss ist zu überwinden und nur mit 11er Hexi abzusichern. Zum Glück hatte ich am Stand nach dem Dachl noch einen zusätzlichen Ringhaken geschlagen, als ob ich es geahnt hätte. Rolf war ca. 6m in dem abdrängenden Riss hoch gekommen, hatte zwei Hexentricks gelegt, als er plötzlich links abrutschte, sich vom Fels wegdrückte, aber mit dem rechten Fuß im Riss hängen blieb, wodurch er kopfüber zu mir herunterstürzte. Dabei schlug er sich einen der oberen Schneidezähne ein. Noch blutend, drehte er sich um, richtete sich den Zahn ein wenig gerade, schnaufte ein paar Mal kräftig durch, dann startete er sofort wieder und kämpfte und rampfte sich den überhängenden Riss frei hinauf. Die beiden Hexi von vorher haben den Sturz gehalten und waren jetzt sehr nützlich, doch kein weiteres Gerät hat Rolf mehr verwendet, er schaffte es tatsächlich diese unheimliche Länge vollkommen frei durchzuklettern.

Rolf im Ausstiegsriss
Für mich war es unvorstellbar wie Rolf das gemacht hatte. Beim Nachsteigen saß noch der Schock vom blutigen Sturz in mir, der wesentlich mehr Belastung beim Sichernden als Zuschauer hinterlässt, als es für den Betroffenen selbst ausmacht. Auch hatte ich noch keine richtigen Slicks zum Klettern, sondern war mit harten Bergschuhen am Weg, die für das Gefühl am glatten Fels auch nicht gerade förderlich waren. Trotzdem musste auch noch die letzte Länge bis zum Grat geklettert werden. Über ein Rissdach kletterte ich noch frei hinauf, dann kam endlich normaler Fels, den ich üblicherweise gewohnt bin auf unseren Touren.
Nun ist auch bei uns der VII. Grad angekommen
Rolf und ich waren echt zwei alte Herren, die ohne perfekte Ausrüstung in unserem unangepassten Kletterstil die neue Ära des siebten Grades, als erste Österreicher eingeläutet hatten. Es war für uns beide die schwerste Kletterei, die wir jemals gemacht hatten und dementsprechend gespannt, was unsere jungen Spitzenleute sagen werden, wenn sie als nächste diesen Paraderiss der Sportkletterer wiederholen werden.