77min durch die Martinswand – schnelle Begehungen

Wie wir das heute sehen
In der Mitte des vorigen Jahrhunderts waren wir noch ganz auf den ursprünglichen Alpinismus konzentriert. Unser Streben galt dem Erreichen von immer neuen Zielen auf schwierigsten Wegen in allen Bereichen der Alpen. Wiederholungen von bereits gelungenen Erfolgen im steilen Fels gab es nur selten. Das „Sportklettern“ gab es noch nicht und so bauten wir unser Klettergeschick hauptsächlich durch Training am Steinbruch auf.
Einzige Ausnahme stellte die Martinswand dar, die mit der Auckenthalerführe eine Klettermöglichkeit bot, die nicht nur einen kurzzeitigen Einsatz für heikle Bewegungen am Fels, so wie am Steinbruch bot, sondern in ihrer Gesamtheit doch eine alpinistische Leistung darstellte, bei der etliche Klettermeter, sowie auch noch ein eigener Zustieg und ca. 600 Hm Abstieg zu absolvieren waren. Kein Wunder, dass viele Kletterer dieses traumhafte Geschenk der Natur als ideales Trainingsgelände für größere Unternehmen entdeckten.
Zu allen Jahreszeiten und zu jeder Tageszeit sind wir zum Martinsbühel gefahren und sind durch die Martinswand geklettert. Oftmals beim ersten Tageslicht, damit wir um 08 Uhr pünktlich bei der Arbeit erscheinen konnten.
Die Geschichte mit den schnellen Begehungen hat sich einfach so ergeben. Ein Weg, den man immer wieder auf die gleiche Art und Weise begeht, bietet eine gute Möglichkeit seine eigene Kondition zu überprüfen, indem man die benötigte Zeit vergleicht. Dazu mussten wir stets gleichbleibende Voraussetzungen festlegen, um einen brauchbaren Vergleich zu erhalten. Es war Voraussetzung, dass immer eine Zweierseilschaft klettert, die vom Einstieg bis zum Ausstieg den Partner sichert. Als Start war das Verlassen der Straße und als Ziel das Eintreffen wieder herunten auf der Straße ausgemacht.
Am 06.05.1969, als ich mit Georg Wurm die Auckenthaler geklettert war, haben wir beim Blick auf die Uhr festgestellt, dass wir genau 100 Minuten gebraucht hatten – und sind dadurch erstmals auf die Idee gekommen, dass wir das nächste Mal vielleicht da und dort noch etwas Zeit gewinnen könnten – vielleicht ist eine Steigerung noch möglich? Mit Adi Mair war ich dann am 13.09.1969 wieder an der Martinswand und habe genau auf die Uhr geschaut. Tatsächlich freuten wir uns, mit 92 Minuten doch wieder ein Stück schneller am Weg gewesen zu sein.
Es folgten viele weitere Begehungen, die aber keinen wesentlichen Fortschritt brachten. Mit Werner Posch hatte ich später einen genialen Partner gefunden, der auch mit Begeisterung bei den morgendlichen Trainingstouren mitmachte. Am 08.08.1975 erreichten Werner und ich erstmals nach 80 Minuten wieder die Straße nach der Durchsteigung der Auckenthalerführe.
Dies hat sich herumgesprochen und es war bald von einem „Rekord“ die Rede. Nun ist es aber klar, dass man von einem Rekord nur dann sprechen kann, wenn man zur Zeiterfassung jemand Außenstehenden hat und sich nicht nur auf eigene Angaben beruft. In der nächsten Zeit gelangen mir mit Werner immer wieder schnelle Zeiten, sodass es mich „juckte“ doch einmal eine „überwachte“ Schnellbegehung zu inszenieren, um von den Beobachtern die Zeiten beim Abmarsch von der Straße und dann bei der Ankunft wieder auf der Straße, völlig neutral festhalten zu lassen.
Am 31. 05. 1978 war es dann so weit, dass einige Freunde in aller Frühe mit uns (Werner Posch und ich) zum Martinsbühel fuhren um unsere Begehung der Auckenthaler zu dokumentieren. Block und Bleistift waren parat und so wurden die tatsächlichen Zeiten aufgeschrieben, zu denen wir gestartet, geklettert, den höchsten Punkt erreicht und wieder auf der Straße herunten angekommen waren. Die dabei festgestellten 77 Minuten wurden in der Euphorie als „Rekord“ bezeichnet.
Die getrennte Sicht von Bergsteigen und Sport hat sich nach vielen Diskussionen inzwischen ganz gut etabliert. Das Sportklettern ist langsam und dadurch gesund gewachsen und wurde nun durch die Anerkennung als Olympische Disziplin endgültig als eigene Sportart weltweit als solche akzeptiert. Dass der Alpinismus, bzw. das Bergsteigen ganz allgemein kein Sport ist, wurde zwar immer schon betont, wird aber heute durch die Erfolgsgeschichte des Sportkletterns problemlos dargestellt. Dass immer wieder hervorragende Sportkletterer auch im Alpinismus tätig sind, zeigt nicht nur den gemeinsamen Ursprung, sondern auch den im Alpinismus ganz anders gelagerten Benefit, der bei der Ausübung frei von sportlicher Konkurrenz in besonderem Maße genossen werden kann.
Bei schnellen Begehungen im alpinistischen Sinn sollte man deshalb nicht von „Rekorden“ sprechen, weil im Alpinismus nicht gegeneinander gekämpft wird und auch bei Einzelleistungen kaum wirklich vergleichbare Situationen gegeben sind. So ist auch unsere schnelle Zeit bei der Martinswand keinesfalls als „Rekord“ zu sehen, weil es eben kein Sport ist, wenn man für alpine Ziele trainiert. Auch müssten mehrere andere Anwärter für die beschriebene Leistung antreten, um überhaupt einen sportlichen Vergleich zu erhalten. Sollte es irgendwann einmal dazu kommen, dass jemand unter den gleichen Voraussetzungen den Auckenthaler mit einem Partner schnell klettert, dann bin ich überzeugt, dass eine Zeit um, oder auch unter einer Stunde erzielbar wäre.